Erkenntnistheoretischer Fallstrick oder Wesen der psychedelischen Erfahrung?
Wissenschaftliche Studien zu psychedelika-gestützten Therapien, wie die Psilocybin-gestützte Therapie, generieren eine große Menge an Aufsehen innerhalb der entsprechenden Wissenschaftscommunities und der öffentlichen Welt. In neueren klinischen Studien der letzten Jahre konnten eine starke Wirksamkeit und vielseitiges Behandlungspotenzial, z.B. von Substanzkonsumstörungen, Depressionen und Posttraumatischer Belastungsstörung, demonstriert werden. Dabei braucht es, anders als in herkömmlichen Behandlungsregimen wie mit Psychopharmaka, keinen dauerhaften und täglichen Einsatz der Psychedelika, sondern es würde vereinzelt, etwa 1 bis 3 Mal, von einer Form der Psychotherapie begleitet, zum Einsatz kommen. Unter anderem deshalb wird von einem Paradigmenwechsel gesprochen, wenn es um den Einsatz von Psychedelika in der psychiatrischen Behandlung von psychischen Störungen geht.
Heute gibt es sehr verschiedene Theorien zum Ursprung dieser Effekte. Dabei wird u.a. hypothetisiert, dass die beobachteten therapeutischen Effekte grundlegend und hauptsächlich auf eine psychopharmakologische Wirkung – also vornehmlich auf chemische Veränderung im Gehirn – zurückgehen. Anderswo wird von Mitspielern in der psychopharmakologischen Wirkung ausgegangen, wie z.B. die häufig berichteten übernatürlichen und „heiligen“ Erfahrungen, sogenannte mystischen Erfahrungen, welche Verhalten und Erleben der Menschen langanhaltend verändern können sollen. Als mystisch umschriebene Erfahrungen sind im Kontext von Psychedelika sehr häufig, und es gibt einige Theorien und psychometrische Instrumente (z.B. Fragebögen), die sich anstellen, dieses schwer greifbare Konstrukt in empirisch-prüfbare Bahnen zu lenken.
1) Doch gegen die empirische Arbeit mit dem Konstrukt der „mystischen“ Erfahrung gibt es Widerstand aus der psychedelischen Forschungscommunity. So argumentieren zwei niederländische Wissenschaftler, Sanders und Zijlmans (2021) dafür, die empirische Beschäftigung mit „mystischen“ Erfahrungen gänzlich einzustellen und sich fortan ausschließlich in einem naturalistischen Formenkreis von Erklärungen zu bewegen. Es bräuchte einen tiefgreifenden theoretischen Wandel, um die Trennung zwischen psychedelischer Wissenschaft und übernatürlichen oder nicht-empirischen Glaubenssystemen zu klären; nicht nur wegen einer schwer wieder-erlangten Respektabilität der psychedelischen Forschungscommunity.
2) Von den niederländischen Kollegen Breeksema und van Elk (2021) erhalten sie zu ihrer Argumentation Contra. Diese argumentieren dafür, dass eine Anerkennung der Vielfalt und Eigenartigkeit psychedelischer Erfahrungen im Mittelpunkt eines jeden Forschungsprogramms zu dem Thema stehen sollte. Außerdem betonen sie die vielfältige Forschungstradition und diversen wissenschaftlichen Instrumente zur Untersuchung mystischer Erfahrungen sowie die Notwendigkeit einer größeren Vielfalt bei den Erfahrungen und Teilnehmer:innen, die in diese Forschung einbezogen werden. Diese beiden Gegenstandpunkte sind in aufeinander folgenden Ausgaben der Fachzeitschrift ACS Pharmacology & Translational Science im Sommer 2021 veröffentlicht worden.
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Der Vortrag am 27. Juni wird als Hintergrund dieser beiden Gegenstandpunkte einen sehr kurzen Abriss über angenommene Mechanismen der psychedelika-gestützten Therapie geben. Anschließend werden von den erwähnten Autoren vorgebrachte Argumente für und wider die Betrachtung „mystischer“ Erfahrungen in der psychedelischen Wissenschaft dargestellt. Last but not least soll uns selbst ein Raum zur Diskussion eröffnet werden, wo wir ergebnisoffen über dieses spannende Thema sprechen können.
Literatur
Wer als Vorbereitung für den Vortrag die beiden Artikel lesen möchte, kann das gerne tun (etwa sieben Seiten insgesamt)!
1) Sanders, J. W., & Zijlmans, J. (2021). Moving Past Mysticism in Psychedelic Science. ACS Pharmacology & Translational Science, 4(3), 1253-1255.
https://doi.org/10.1021/acsptsci.1c00097
2) Breeksema, J. J., & van Elk, M. (2021). Working with Weirdness: A Response to “Moving Past Mysticism in Psychedelic Science”. ACS Pharmacology & Translational Science, 4(4), 1471-1474. https://doi.org/10.1021/acsptsci.1c00149
Veranstaltung
Die Veranstaltung findet am 27.06.22 ab 19:00 Uhr in Raum 02-731 im Georg-Forster-Gebäude (Jakob-Welder-Weg 12) statt.
Kommt zahlreich und teilt auch gerne diese Einladung, wir freuen uns auf euch.
Euer HIPF-Team
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Photo by https://unsplash.com/@stephenleo1982
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